Frankfurter Rundschau | 06.03.2023 | Politik
Die EU will grüner Wasserstoff aus Nordafrika importieren. Vor Ort stößt das auf Kritik.
An den Toren der Sahara schimmern Tausende von Solarpanels und reflektieren blendend weißes Licht. Hier, zwischen dem Sand und den Oasen in der Mitte Marokkos, wird eine große Schlacht um die Energiewende in Europa geschlagen. Der brutale Krieg im Schlamm und in den Schützengräben der Ukraine scheint weit weg zu sein, doch seit der russischen Invasion hat sich der Rush auf grüne Energien verstärkt. Im Mai 2022 startete die Europäische Kommission ihren „RePowerEU“-Plan: Nicht weniger als zehn Millionen Tonnen Wasserstoff sollen die europäische Wirtschaft versorgen, vor allem aus Nordafrika, um das russische Gas zu ersetzen.
Abkommen und Partnerschaften werden reihenweise geschlossen: Allein im Rahmen der Africa-EU Green Energy Initiative werden für den Maghreb eine Milliarde Euro an ausländischen Investitionen zugesichert. Das kommt zu den bilateralen Abkommen noch dazu. Zum Beispiel hat Ägypten insgesamt 42 Milliarden Euro an Investitionsversprechen für grünen (erneuerbaren) oder blauen (aus Erdgas gewonnenen) Wasserstoff.
Seitdem sprießen die Pläne für neue Kraftwerke überall aus dem Boden – wie hier in Midelt, im Süden Marokkos. „Nicht weit vom Dorf meiner Großeltern haben sie das Gebiet abgeriegelt und Zäune gebaut. Jetzt hat niemand mehr Zugang, weder die Bewohner noch Journalisten, nicht einmal unsere politischen Vertreter“, erzählt eine ökofeministische Forscherin für ein Umweltforschungsinstitut, die aus der Region stammt. Sie möchte zu ihrer eigenen Sicherheit anonym bleiben. „Viele meiner Freunde und Kollegen sitzen im Gefängnis: Es ist schwierig geworden, Forschung zu betreiben, und niemand traut sich wirklich, gegen diese Projekte und die Regierung zu opponieren, da er sonst verschwinden würde“, sagt sie.
Hier in Midelt wird bald ein Kraftwerk zur Erzeugung von „grünem“ Wasserstoff aus Sonnenenergie entstehen, „Noor II“. Der französische Staatskonzern EDF und ein Konsortium lokaler Unternehmen werden 700 Millionen Euro in das 800-Megawatt-Kraftwerk investieren. „Noor II“ ist nur eines von vielen in der gesamten Region, von denen einige bereits in Betrieb sind – wie seine Vorgänger, die riesigen Solaranlagen in Ouarzazate, ein paar Hundert Kilometer entfernt.
Die Bebauung von 2 500 Hektar blieb aber nicht ohne Folgen. „Dort sind ganze Dörfer aus Protest in den Durststreik getreten. Unsere Regionen sind bereits semiarid, sie leiden unter Dürre und der globalen Erwärmung, und diese Energieprojekte sollen ihnen das wenige Wasser, das sie haben, wegnehmen“, kritisiert die Forscherin. Die verwendeten Photovoltaik-Technologien waren alt und brauchten etwa für die Kühlung und Reinigung der Anlagen viel Wasser – nun versprechen die Hersteller sauberere Technologien und die Entsalzung des Wassers, um die Menschen zu versorgen.
Wasserstoff aus Nordafrika: Vorwurf des „grünen Kolonialismus“
Die Hersteller der Wasserstoff-Kraftwerke versprechen, die Wirtschaft grüner zu machen, indem sie erneuerbare Energien wie Sonnen- und Windenergie in speicherbare Materialien wie Ammoniak oder flüssigen Wasserstoff umwandeln. Diese werden dann per Schiff oder Pipeline nach Europa transportiert oder für lokale Märkte verwendet. „Diese Projekte wirken sich auf die lokalen Gemeinschaften und ihre Kultur aus. Durch das Eindringen in landwirtschaftliche und ländliche Gebiete wird vielen Menschen die Lebensgrundlage entzogen – vor allem Frauen, von denen viele das Land bearbeiten“, erklärt die Expertin. Ob diese Projekte für den Export in die EU bestimmt sind oder nicht, ob es sich um erneuerbare oder fossile Energieträger handelt, „es ändert sich letztlich nichts für die Menschen, die nur Barrieren und Unterdrückung sehen und denen ihr Land weggenommen wird“, sagt sie.
Aus diesem Grund prangern viele Fachleute, Aktivist:innen und Verbände den „grünen Kolonialismus“ an, den die EU durch bilaterale Abkommen mit autoritären Entwicklungsländern wie Marokko, Algerien, Tunesien und Ägypten betreiben würde. „Statt Öl oder Mineralien nimmt uns Europa jetzt unsere erneuerbaren Ressourcen weg“, kritisiert Imen Louati, Projektmanagerin bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tunis. „Wir werden weiterhin von ihren Patenten und ausländischem Kapital abhängig sein, anstatt unseren eigenen Energiewandel zu vollziehen.“
In diesem neuen „Scramble for Africa“ spiele Deutschland ihrer Meinung nach eine wichtige Rolle. So hat die größte europäische Wirtschaftsmacht Abkommen im Wert von 31 Millionen Euro mit Tunesien und 25 Millionen Euro mit Marokko abgeschlossen. Vor Ort führt die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) die Projekte mit Geldern des Entwicklungsministeriums durch. „Es ist ganz einfach: Die deutsche Industrie will ihren Energiebedarf sichern. Es ist zu keinem Zeitpunkt die Rede davon, den Konsum der Europäer zu verringern. Sie wollen mit ihrem Übergang ein gutes Gewissen haben, aber das geht auf Kosten anderer“, kritisiert Louati.
Wasserstoff aus Nordafrika: Vorwürfe bestritten
Vonseiten der EU-Kommission bestreitet man solche Vorwürfe. „Die EU unterstützt die Entwicklung neuer Energiequellen nicht nur für den Export in die EU, sondern in erster Linie für die lokale Entwicklung. Die lokale Entwicklung ist das übergreifende Ziel unserer Kooperationspolitik“, antwortet ein EU-Beamter, der anonym bleiben möchte. Zu den Vorwürfen der Menschenrechtsverletzungen, des Landraubs und der Unterstützung autoritärer Regime schreibt er, dass „Umweltschutz, lokale Entwicklung, Unterstützung der Zivilgesellschaft und Verteidigung der Menschenrechte wichtige Pfeiler der Zusammenarbeit der EU mit Nicht-EU-Partnerländern sind.“
Ähnlich antwortet auch ein anonymer Mitarbeiter einer deutschen Regierungsorganisation, die Projekte in Marokko betreut. „Wir achten sehr darauf, erneuerbare Projekte zu schaffen, die den lokalen Gemeinschaften zugutekommen. In Marokko werden wir zum Beispiel spezielle Lehrpläne an den Universitäten einführen, um lokale Arbeitskräfte einzustellen. Wir nehmen den Vorwurf des Kolonialismus sehr ernst.“ Die kommenden Jahre werden zeigen, ob die Technologie tatsächlich eine gerechte und nachhaltige Energiewende hervorrufen kann.