Frankfurter Rundschau | 10.05.2024 | Magazin

Der Krieg in Gaza hinterlässt Spuren – auch an Umwelt und der Umweltbewegung. Der Konflikt spaltet die Aktiven. Doch viele treten gerade deshalb für eine friedlichere Zukunft der Menschen und Natur vor Ort ein.

Tel Aviv – Die Beleidigungen, die Vorübergehende den Anti-Kriegs-Demonstrierenden in Israel entgegenschleudern, sind erschreckend: „Verräter“, „Ihr verdient es zu sterben wie die Menschen in Gaza.“ Trotzdem versammeln sich wöchentlich Hunderte Israelinnen und Israelis zu Demonstrationen im Zentrum von Tel Aviv, um die Kriegsführung der Netanjahu-Regierung zu kritisieren. Einige Demonstrierende halten Schilder mit der Aufschrift „Stoppt den Völkermord“ hoch. Die Polizei konfisziert eine jordanische Flagge, weil sie der palästinensischen Flagge zu ähnlich ist. Bei dieser Demonstration gegen die israelische Operation in Rafah im südlichen Gazastreifen treten die Spannungen innerhalb der israelischen Gesellschaft mit aller Kraft zutage. „Wir erleben sehr starke Repressionen von allen Seiten, die Polizeigewalt ist besonders beängstigend“, sagt Timna, eine junge Anti-Kriegs-Aktivistin. Wie etwa 30 andere Frauen ist sie weiß gekleidet und gehört dem Kollektiv „Frauen in Weiß“ an.

Die nach Beginn des Gaza-Krieges spontan gegründete Gruppe versucht, Frauen und palästinensischen Bürgerinnen und Bürgern Israels einen vor Angriffen geschützten Raum zu bieten. „Für uns, israelische und jüdische Frauen, ist es wichtig zu sagen, dass der Krieg nicht in unserem Namen geführt wird. Wir fordern auch ein Ende der Besatzung, sonst werden wir nie in Frieden leben“, sagt Timna, die früher in Organisationen gegen die Trennmauer aktiv war.

Umweltbewegung in Israel ist ebenfalls durch den Gaza-Krieg gespalten

Es ist schwierig, in einer militarisierten Gesellschaft abweichende Meinungen zu äußern. Angesichts der zunehmenden Kritik an der israelischen Kriegsführung und den noch immer 132 im Gazastreifen verbliebenen Geiseln, hat die Regierung ihre Kommunikations- und Repressionskampagne intensiviert – selbst Familien der Geiseln wurden von der Polizei brutal misshandelt. Das zwingt die israelischen Aktivistinnen und Aktivisten dazu, ihren Protest umzugestalten, um ihn am Leben zu halten.

Das gilt auch für die Umweltbewegung, ebenfalls durch den Krieg gespalten. Am 22. Oktober 2023 veröffentlichte die prominente Klimaaktivistin Greta Thunberg ein Foto, auf dem sie ein „Stand with Gaza“-Schild hielt. Neben ihr stand eine jüdische Aktivistin mit den Worten „This Jew stands with Palestine“. Mehr als 100 israelische Umweltschützer:innen veröffentlichten daraufhin einen offenen Brief, in dem sie die beiden wegen „Antisemitismus“ verurteilten und bedauerten, dass sie die globale Klimabewegung auf diese Weise „spalteten“.

„Unser Land gehört der Erde und darauf sind wir alle gleich.“
„Unser Land gehört der Erde und darauf sind wir alle gleich.“ © Philippe Pernot

Während israelische, palästinensische und internationale Organisationen vor einem drohenden Völkermord und Ökozid in Gaza warnen, schweigt der Großteil der israelischen Umweltbewegung. „Viel zu oft sehen sich die Umweltschützer hier als unpolitisch und sind nicht in der Lage, über die israelischen Grenzen hinaus zu denken“, sagt Ya’ara Peretz, eine israelische Umweltaktivistin aus Tel Aviv, frustriert. Wie viele andere junge Aktivist:innen sammelte sie ihre Erfahrungen bei Green Course, einer hauptsächlich studentischen Umweltbewegung, bevor sie half, die israelischen Zweige von Fridays for Future und Extinction Rebellion aufzubauen.

„Die meisten israelischen Umweltaktivisten und -organisationen, damals wie heute, sehen keinen Zusammenhang zwischen der Umwelt und den Rechten der Palästinenser:innen, und einige lehnen sogar die Politisierung des Themas ab“, fügt sie hinzu. Dabei „kann man die Umwelt nicht schützen, ohne gleichzeitig gegen die israelische Besatzung zu kämpfen“, behauptet sie. Gegen Israel häufen sich inzwischen auch die Vorwürfe der Umweltzerstörung: Von der industriellen Umweltverschmutzung, der Kolonisierung landwirtschaftlicher Flächen, der Beschlagnahmung von Flüssen und Brunnen bis hin zum Bau von Industriesiedlungen und der Zerstörung von mehr als 40 Prozent der Landwirtschaft im Gazastreifen. „Israel betreibt massives Greenwashing und begeht Gräueltaten unter dem Deckmantel des Naturschutzes“, kritisiert Ya’ara Peretz.

Die israelischen und die palästinensischen Lebenswelten sind getrennt

Als Mitbegründerin der Organisation One Climate will sie einen „inklusiveren und politischeren“ Aktivismus verfolgen. Sie räumt ein, dass die etwa 20 Mitglieder der Gruppe in der israelischen Gesellschaft isoliert sind und von anderen Aktivist:innen oft als Verräter abgestempelt werden.

Die israelischen und die palästinensischen Lebenswelten sind getrennt: Es ist schwierig, die Realität auf der anderen Seite der Mauer zu verstehen. In Israel und seinen Siedlungen gibt es unzählige Naturschutzgebiete, gut unterhaltene Straßen, eine moderne Infrastruktur – Meerwasserentsalzung liefert heute 85 Prozent des Trinkwassers, während 70 Prozent des Abwassers für die landwirtschaftliche Bewässerung wiederverwendet werden. Und seit 1901 hat der Jüdische Nationalfonds in ganz Israel über 250 Millionen Bäume gepflanzt.

Auf der anderen Seite sieht es anders aus: Eine Reihe von militärischen Kontrollpunkten aus Beton und Stacheldraht, zerklüftete Umgehungsstraßen, Industriegebiete und Steinbrüche verunstalten die sanften, mit Olivenbäumen bewachsenen Hügel des besetzten Westjordanlandes. Israelische Naturparks und hochtechnisierte landwirtschaftliche Flächen werden oft auf palästinensischem Land errichtet, dessen Bewohner:innen vertrieben wurden. Was einige Forschende als „Umwelt-Apartheid“ bezeichnen, spiegelt sich in zwei unterschiedlichen Umweltkonzepten wider.

Eine Demonstrantin in Israel fordert das Ende des „Völkermords“.
Eine Demonstrantin in Israel fordert das Ende des „Völkermords“. © Philippe Pernot

Aktivistin versucht, Regierung in israel zu einem Waffenstillstand zu drängen

„Palästinensische Umweltschützer:innen und ihre Verbündeten sprechen nicht dieselbe Sprache wie ihre israelischen Kollegen und können einander nicht verstehen: Während erstere auf dem Recht auf Land und auf Widerstand bestehen, sprechen letztere über Technologie, Effizienz und Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel“, erklärt Bar Rapaport, Forscherin für Klimadiplomatie am israelischen außenpolitischen Institut Mitvim. In der Tat haben die Palästinenser:innen oft keine andere Wahl, als eine „Ökologie des Überlebens“ zu praktizieren, während die Israelis sich anderen Problemen zuwenden können. „Früher war es für uns Israelis einfach, in unserem Paradies zu leben, ohne uns Gedanken darüber zu machen, was in Palästina passiert“, fährt sie fort.

Ihr Wohnort, der Kibbuz Gezer, veranschaulicht dies: In der kleinen grünen, ökologisch angehauchten Gemeinschaft spielen Kinder im Sonnenuntergang – nur 50 Kilometer entfernt von den Schrecken des Gazastreifens. Als die Hamas am 7. Oktober 1143 Menschen tötete und 247 Israelinen und Israelis entführte, wurde das friedliche Leben erschüttert. „In dem Kibbuz haben viele Menschen Angehörige verloren, die entweder getötet oder entführt wurden, und die Bewohner rennen nun täglich in ihre Luftschutzkeller“, sagte Bar Rapaport. „An diesem Tag ist unsere Blase geplatzt und wir haben erkannt, dass es unter der Besatzung keinen Frieden und keine Sicherheit geben kann“, fügt sie hinzu.

Die Regierung weigert sich, eine politische Perspektive für den Wiederaufbau des Gazastreifens in einer Weise zu entwickeln, die für die Bewohner und die Umwelt nachhaltig ist.Bar Rapaport, Forscherin für Klimadiplomatie am israelischen außenpolitischen Institut Mitvim

Wie andere Akademiker:innen und Aktive versucht sie, die Regierung zu einem Waffenstillstand im Gazastreifen und einem Ende der Besatzung im Westjordanland zu drängen – aber sie ist zunehmend verzweifelt. „Die Regierung weigert sich, eine politische Perspektive für den Wiederaufbau des Gazastreifens in einer Weise zu entwickeln, die für die Bewohner und die Umwelt nachhaltig ist“, sagt sie. Klimagerechtigkeit und die Rechte der Palästinenser:innen zu vereinen, scheint in Israel eine fast abwegige Idee zu sein.

„Die Regierung, die Medien, die Schule und der obligatorische Militärdienst zwingen uns, die Palästinenser zu hassen, sie zu fürchten und als Terroristen zu betrachten“, sagt Aktivist Omry. „Es dauert Jahre, bis man begreift, was in Palästina passiert, weil die Gehirnwäsche so stark ist“, fährt er fort. Nach Abschluss seines Wehrdienstes 2010 engagierte er sich bei Breaking the Silence, einer Organisation von Veteranen, die die Kriege Israels kritisieren.

Derzeit ist er bei Culture of Solidarity aktiv, einem Kollektiv in Tel Aviv. Die Räumlichkeiten des „House of Solidarity“ befinden sich im Obergeschoss eines mit Lichterketten und Graffiti geschmückten Innenhofs und dienen als Raum für eine Vielzahl von Initiativen. Ein imposantes Transparent mit der Aufschrift „Books not Bombs“ lädt Gäste ein, in der Buchhandlung in ökologischen, feministischen und antirassistischen Werken zu stöbern. Auf der anderen Seite der Halle stapeln sich reihenweise Lebensmittel, die ein- bis zweimal pro Woche verteilt werden.

Die „Frauen in Weiß“ demonstrieren gegen die israelischen Bombenangriffe in Rafah.
Die „Frauen in Weiß“ demonstrieren gegen die israelischen Bombenangriffe in Rafah. © Philippe Pernot

Aktive in israel fordern Waffenstillstand auch mit zivilem Ungehorsam

„Das Kollektiv wurde während der Corona-Krise für Lebensmittelverteilungen gegründet, die auch heute noch die Grundlage des Kollektivs bilden“, erklärt Omry. „Kürzlich haben wir Geld gesammelt, um den Gemeinden im Westjordanland, die unter der vom Staat unterstützten Gewalt der Siedler und Vertreibung leiden, Lebensmittelhilfe für den Ramadan zukommen zu lassen.“ Die Aktiven von Culture of Solidarity fordern den Waffenstillstand auch mit Demonstrationen – und zivilem Ungehorsam.

Die kleine palästinensische Stadt al-Zawiya im Norden des besetzten Westjordanlandes ist schon länger ein Anziehungspunkt für solche Aktionen. Soweit das Auge reicht, erstrecken sich Hügel mit Olivenbäumen, die von Terrassen aus altem Stein durchzogen sind. Das Panorama könnte himmlisch sein, wäre da nicht das klaffende Loch in einem Steinbruch nur wenige hundert Meter von der Stadt entfernt. Er wird seit 1986 von einer Tochtergesellschaft von Heidelberg Cement betrieben und wird von einigen für die zahlreichen Fälle von Lungenkrebs und Krankheiten in den dort liegenden palästinensischen Dörfern verantwortlich gemacht.

Um den Steinbruch herum soll nun auch ein riesiges Industriegebiet mit einem jüdischen Friedhof für die umliegenden Siedlungen gebaut werden – auf 3000 Hektar Land. „Dies ist ein ökologischer Korridor, in dem viele endemische Arten leben und gedeihen – eines der einzigen Gebiete, in dem sie sich noch frei bewegen können“, erklärt Ya’ara Peretz. Einige Tierarten seien wegen des Projekts vom Aussterben bedroht, warnte auch die israelische Umweltorganisation For the Wildlife.

Der Steinbruch ist damit Zielscheibe für diverse Aktionen, auch One Climate wurde durch zivilen Ungehorsam gegen Unternehmen bekannt, die an dem Projekt beteiligt sind. „Im Jahr 2020 gelang es uns, den Eingang zum Steinbruch für mehrere Stunden zu blockieren, indem wir uns aneinander ketteten und Tripods ( Holzhochsitze, Anm. d. Red. ) bauten“, erklärt Mitbegründerin Ya’ara Peretz.

Inmitten der luftverschmutzten Frühlingsbrise fährt plötzlich ein Geländewagen am Steinbruch vor. Eine Gruppe von Klimaaktivist:innen kundschaftet die Gegend aus. Sie möchten anonym bleiben. Nach einem zweistündigen Rundgang steigen sie in ihr Auto und fahren zurück nach Tel Aviv. „Unser Besuch war erfolgreich, wir können mit der Planung unserer nächsten Aktion beginnen“, sagt einer der anonymen Aktivist:innen glücklich am Telefon. (Philippe Pernot)

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