Frankfurter Rundschau | 11.04.2024 | Panorama

Trockenheit, jahrelange Misswirtschaft und der Nahostkonflikt zehren an der Bevölkerung Jordaniens, aber auch an ihren Äckern. Die Menschen vor Ort versuchen nun, sich selbst zu helfen.

Auf der Straße entlang des Jordantals wirbelt jedes Auto, das vorbeifährt, eine Wolke aus Sand und Staub auf. Es ist schwer zu glauben, dass es sich um den fruchtbarsten Ort in ganz Jordanien handelt. Gewächshäuser und Äcker finden sich hier neben Ödland aus rissiger, ausgetrockneter Erde.

Jordanien ist eines der trockensten Länder weltweit, und die Wüstenbildung schreitet rasant voran: 88 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen sind bereits aufgegeben und verwandeln sich in eine Wüstenlandschaft. Die Kleinbauern kämpfen ums Überleben. „Das Schwierigste ist wirklich der Wassermangel. Ich habe ein Becken mit 2000 Kubikmetern, aber im Sommer bräuchte ich das Doppelte“, seufzt der 26-jährige Soleiman, der das Land seines Vaters in Dayr’Allah, im mittleren Teil des Tals, übernommen hat.

„Im Sommer haben wir nur sechs Stunden fließendes Wasser – und das nur an zwei Tagen in der Woche“, fährt der junge Mann fort, der an der Universität Agrarwissenschaften studiert hat. Seine Obst- und Gemüsefelder erstrecken sich über 8,5 Dunum (8500 Quadratmeter) und liegen nur wenige Hundert Meter vom Jordan – und von der israelischen Grenze – entfernt.

Der heilige Fluss der drei monotheistischen Religionen ist seit den 1960er Jahren zu einem schlammigen, verschmutzten Bach geschrumpft und sein Wasser ist für die Landwirtschaft unbrauchbar geworden. Stattdessen befeuchtet ein Kanal das Tal mit wiederaufbereitetem Wasser aus Jordanien – aber nur tröpfchenweise.

Der heilige Fluss Jordan ist mit Schwermetallen verseucht

Heute ist Soleiman in seinem Kampf gegen die Dürre nicht allein. Zwei Mitglieder der „Arab Group for the Protection of Nature“ (APN), einer jordanisch-palästinensischen Organisation, helfen ihm dabei, 350 junge Zitronen-, Orangen- und andere Zitrusbäume inmitten eines Salatfeldes zu pflanzen.

„Wir helfen den Bauern, ihre Kulturen zu diversifizieren und ihr mageres Einkommen zu erhöhen, damit sie ihre Kinder auf die Universität schicken können und nicht mehr von der Hand in den Mund leben müssen“, erklärt Mohammad Qteishat, APN-Projektmanager. „Wir verkaufen ihnen die Bäume für 25 Piaster statt für fünf Dinar auf dem Markt, so dass wir nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen.“ Nach drei Jahren könnten 100 gepflanzte Bäume 500 Dinar (646 Euro) pro Monat einbringen, sagt er.

Soleimans Äcker sind zu trocken. © Philippe Pernot

Die Entscheidung, Zitrusfrüchte zu pflanzen, ist nicht nur wirtschaftlich, sondern auch symbolisch. „Früher war diese Region extrem reich an Biodiversität, sehr grün, bedeckt mit Zitronen- und Orangenbäumen. Aber die sind schon seit Jahren tot, weil das Wasser, das wir bekommen, so verschmutzt ist“, klagt Qteishat. „Jetzt sind die Bäume verschwunden und es wächst nur noch Gemüse. Selbst die Vögel und andere Tiere hier sind nicht mehr die gleichen.“

Viele Landwirte machen Israel für ihre Probleme verantwortlich. 1964 baute das Nachbarland flussaufwärts Staudämme am Jordan, leitete ihn in seine eigenen landwirtschaftlichen Flächen im Norden um und entsorgte dann Industrie- und Landwirtschaftsabwässer in den verkümmerten Strom. Syrien reagierte mit dem Bau weiterer Staudämme am Jarmuk-Fluss, der im Norden in den Jordan fließt.

Dadurch habe der Fluss bis zu 98 Prozent seines historischen Volumens verloren und sei mit Schwermetallen verseucht, kritisiert die APN in mehreren Veröffentlichungen. Jordanien musste daher Dämme an den flussaufwärts gelegenen Flüssen Jarmuk und Zarqa bauen, die das benötigte Wasser über Kanäle in das Tal bringen. „Doch auch dieses ist salzhaltig und oft verschmutzt“, sagt Soleiman.

Jordanien im Klimawandel: Viele Orte könnten in nächster Zukunft unbewohnbar werden

Seit dem jordanisch-israelischen Friedensabkommen von 1994 muss Israel dem haschemitischen Königreich jährlich 50 Millionen Kubikmeter Wasser abgeben. „Manchmal schicken sie uns aber Abwasser: Wenn das passiert, sterben die Bäume innerhalb von zwei Tagen ab“, sagt Qteishat. Das führt zu einem Verlust an Artenvielfalt und Einkommen für die Bäuerinnen und Bauern im Tal.

Ein Abkommen, das den Austausch von israelischem Wasser gegen jordanischen Solarstrom vorsah, annullierte die jordanische Regierung unter dem Druck riesiger propalästinensischer Demonstrationen im November schließlich. Grund dafür: der Krieg in Gaza, der bislang rund 33 000 palästinensische Menschenleben gefordert hat – und dem die Mehrheit der jordanischen Bevölkerung palästinensischer Abstammung äußerst kritisch gegenübersteht. „Meine Mutter kommt ursprünglich aus Nablus, niemals könnte ich Wasser aus Israel akzeptieren“, sagt auch Soleiman.

Trotz der staubigen Luft im Tal sieht man das besetzte Westjordanland jenseits des Jordans, der die Grenze zwischen den beiden Ländern bildet. Die jordanische Landwirtschaft reagiert sehr empfindlich auf Krisen in der Region, da das Land durch seine Allianz mit den USA und Israel schnell von internationaler Hilfe abhängig wurde. Während Jordanien in den 1960er Jahren noch 70 Prozent seines Bedarfs an Gerste und Weizen selbst produzierte, muss das Land heute 90 Prozent seines Getreides und seiner Energie importieren.

Die Landwirtschaft hat eine Abwärtsspirale durchlaufen: Von einem wichtigen Wirtschaftssektor, der 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmachte, ist sie zu einem ungeliebten Zwerg geworden (sechs Prozent des BIP). Und das, obwohl sie die Hälfte des gesamten verfügbaren Wassers verbraucht: ein gefährliches Ungleichgewicht. Der Klimawandel soll den Nahen Osten mit einer Erwärmung von mehr als fünf Grad Celsius treffen, warnen Studien – viele Orte dürften in nächster Zukunft nicht nur in Jordanien unbewohnbar werden.

„Jordanien hat unter 50 Jahren neoliberaler Misswirtschaft gelitten, die uns von Hilfsgeldern und Importen abhängig gemacht hat. Das Schlimmste ist nicht die globale Erwärmung, sondern die Politik.“Mariam Al Jaajaa, Geschäftsführerin der „Arab Group for the Protection of Nature“

Angesichts dieser Krise startete die Organisation APN 2001 die „Grüne Karawane“, eine Initiative zur Anpflanzung selten gewordener Bäume in Regionen, die von Wüstenbildung und prekären Verhältnissen bedroht waren. Bis heute hat sie 166 000 Obstbäume bei 10 000 Kleinbauern gepflanzt. „Nach mehreren Versuchen wurde uns schnell klar, dass wir Bäume pflanzen müssen, die für die Bauern nützlich und dürreresistent sind und die dem Land Biodiversität zurückgeben“, erklärt Mariam Al Jaajaa, die Geschäftsführerin der Organisation in Jordanien.

Sie betont dabei den Unterschied zu anderen Projekten großer internationaler Nichtregierungsorganisationen. Es handele sich nicht um eine künstlich auferlegte Biodiversität, sondern um eine, die an die sozialen und politischen Gegebenheiten der Landwirtschaft angepasst sei.

Die jordanische Landwirtschaft bringt nur sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts ein, verbraucht aber die Hälfte des verfügbaren Wassers. © Philippe Pernot

Al Jaajaas Kritik richtet sich an die Politik und deren große neoliberale Wirtschaftsreformen der 1990er- und 2010er- Jahre. Durch den Abbau von Subventionen und des sozialen Sicherheitsnetzes hätten die von IWF und Weltbank geleiteten Programme die Arbeitslosenquote bei Jugendlichen auf mehr als 45 Prozent steigen lassen und 25 Prozent der Bevölkerung in die Armut getrieben. „Jordanien hat unter 50 Jahren neoliberaler Misswirtschaft gelitten, die uns von Hilfsgeldern und Importen abhängig gemacht hat. Das Schlimmste ist nicht die globale Erwärmung, sondern die Politik“, prangert sie an.

Auf den Feldern entlang der Autobahn im Jordantal kämpfen mit der Kuffieh bedeckte Männer und Frauen gegen den Staub, ihre Rücken unter der heißen Sonne gebeugt. Für die 210 000 Landarbeiter:innen des Königreichs – darunter viele syrische Geflüchtete und ägyptische Migrant:innen – sind die Arbeitsbedingungen katastrophal. „Ihre Probleme sind endlos“, klagt Moqthal Zinat, Sekretär der jordanischen Gewerkschaft der Landarbeiter (UWA).

Die meisten seien Tagelöhner:innen, sie arbeiteten für ein bis zwei Dinar pro Stunde (1,2 bis 1,3 Euro) – ohne Arbeitsrechte, ohne soziale Absicherung, ohne medizinische Versorgung bei Arbeitsunfällen, ohne Schutzausrüstung gegen Pestizide und Insekten, oft ohne Zugang zu Toiletten – ein großes Problem gerade für Arbeiterinnen.

Das autokratische jordanische Königreich erkennt die Gewerkschaft nicht an. Aber nach zwei Jahren hat die UWA durch Arbeitskämpfe immerhin eine Reform des Arbeitsrechts mit einigen sozialen Fortschritten erstritten. „Niemand kann den Bauern und Arbeitern besser helfen als sie selbst, vor allem, wenn sie sich mit Studenten, Ärzten und anderen Arbeitern zusammenschließen, um ihre Rechte einzufordern“, bekräftigt Zinat. Leise und langsam wächst sie, die Hoffnung auf einen unabhängigen Weg zur Ernährungssouveränität und zur Würde.

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