Frankfurter Rundschau | 8.10.2023 | Politik
Die pro-iranische Hisbollah feiert die Terroroffensive und schießt ein paar Raketen in Richtung des Nordens von Israel.
Am Sonntagvormittag versammelten sich Hunderte von Palästinenser:innen, Libanesen und Libanesinnen in Beirut nach einem Aufruf der Libanesischen Kommunistischen Partei und der Palästinensischen Demokratischen Partei. „Ich freue mich natürlich, dies ist ein historischer Tag für uns“, sagte Zeinab Naser, eine junge Frau aus Gaza. Sie studiert seit einem Jahr im Libanon. „Ich kann es immer noch nicht fassen, und alle meine Traumata kommen heute zurück“, sagt sie, die eine Kindheit zwischen Terror und Vergeltung verbracht hat.
Angesichts des anlaufenden israelischen Gegenschlags nach den massiven Angriffen durch die Hamas gehen Nasers Gedanken erst recht zurück in die Heimat. „Jetzt habe ich vor allem große Angst für meine Familie vor Ort. Es ist furchtbar, nicht dort mit ihnen zu sein“.
Angst um sich selbst scheint Zeinab Naser gar nicht in den Sinn zu kommen. Veteranen der Auseinandersetzungen mit Israel winkten zwar ab am Wochenende, aber der Fakt blieb, dass auch am Himmel über dem Norden Israels Raketen der schiitisch-islamistischen Hisbollah ihre Rauchspuren zogen, woraufhin die Israelis den Süden des Libanon bombardierten und auf den von ihnen besetzten Shabaa-Feldern die Bevölkerung aus den dort gefährdeten Siedlungen holte. Keine der beiden Seiten meldete Verletzte oder Tote.
„Von Seiten der Hisbollah handelt es sich um eine kleine Geste der Solidarität mit Palästina, und ganz klar nicht um eine Kriegserklärung“, versucht Politikwissenschaftler Hilal Khar-shan, Palästina-Experte an der Amerikanischen Universität Beirut, etwaige Ängste wegen eines Mehrfrontenkrieges auszuräumen. „Israels Antwort war ebenso gemäßigt“, befindet er.
Das Ziel dieses Krieges sieht Karshan im Sinne des Iran dabei nicht so sehr militärisch als vielmehr diplomatisch. „Die Hisbollah wie auch die Hamas wollen Saudi-Arabien und den anderen arabischen Ländern eine Botschaft mitteilen und die Friedens- und Normalisierungsprozesse beenden“, mutmaßt der Wissenschaftler. Von Marokko über Saudi-Arabien bis zu den Vereinigten Emiraten haben viele Staaten angefangen, Abkommen mit Israel über Rüstung, Tourismus und Nachrichtendienste zu treffen. Das schwäche die Position des Iran in Nahost, Arabien und dem Maghreb. „Aber die Hamas-Offensive wird diese Anstrengungen für einigen Zeit aufhalten: Saudi-Arabien zum Beispiel kann nicht mit Israel normalisieren, während die israelischen Streitkräfte Hunderte von Palästinenser töten“, meint er. Karshan ist sich offenbar sicher, dass die israelische Reaktion auf die Offensive der Hamas wahllos und brutal ausfallen wird.
Später am Nachmittag des Sonntags organisierte die Hisbollah eine Versammlung im Süden von Beirut, um dort ihre Unterstützung für Hamas und „Palästinensischen Islamischen Dschihad“ zu zeigen. Die gelben Flaggen der Hisbollah wehten neben der Palästinensischen und Libanesischen, während Haschem Safi el-Din, Leiter des Exekutivrats der Hisbollah und zweit-wichtigster Mann der Miliz, die Menge mit den Rufen „Tod Israel“ und „Befreit Palästina“ agitierte: Vielleicht ein gutes Tausend geballte Fäuste reckten sich ihm entgegen, ihre Stimmen skandierten die Parolen gegen Israel.
Den Libanon beherrscht aber jenseits dieser Kundgebungen große Angst vor einer Eskalation des Konflikts. Die von Hassan Nasrallah geführte Miliz und politische Partei Hisbollah präsentiert sich heute noch als Israels Erzfeind. Nach ihrer Gründung 1985 wurde sie schnell zur stärksten Bürgerkriegspartei im Lande, was schließlich im Mai 2000 zum Rückzug Israels aus dem seit 1978 besetzten Südlibanon führte. Sechs Jahre später konnten die Hisbollah-Milizen einen massiven Vorstoß der israelischen Armee abwehren. Seitdem kommt es zu immer wieder zu Auseinandersetzungen an der Grenze, entlang der die Blauhelm-Mission der Unifil patrouilliert.
„Heute benutzt die Hisbollah die Rhetorik des Widerstands gegen Israel nur, um ihre Miliz zu begründen – aber sie wird wohl nie wieder im frontalen Krieg gegen kämpfen“, schätzt Kharshan. Die „Partei Gottes“ stellt im Libanon mehrere Minister in der Regierung und eine starke Parlamentsfraktion. Ohne sie läuft im Land praktisch nichts. Zugleich kann sie bis zu 10 000 Mann mobilisieren, und nimmt in Syrien, im Jemen, und im Irak auf Seite des Iran an den Kriegen dort teil. „In diesem Zusammenhang benutzt der Iran die Hisbollah, um andere Milizen zu trainieren, inklusive die palästinensischen Islamisten“, erklärt der Professor.












